Der Radsport lebt & verehrt Tradition. Die Liste grosser Helden vergangener Tage ist lang und reicht bis in die düsteren Epo-Tage. Über die Rennsaison verteilt liegen die Fixpunkte der Klassiker, Monumente und Grand Tours, welche das Herz jedes Radsport-Freundes höher schlagen lässt.
Auch Mika und ich stehen in dieser Tradition, auch wir haben einen Klassiker; den Grindelwald-Giro. Eine Sporttasche gefüllt mit Freizeitkleidern und Turnschuhen in einem Ferienhaus in Grindelwald bildet den Ankerpunkt unserer 2-Tages-Tour. Kurz vor Wintereinbruch ist sie unser krönender Abschluss.
Die Route nach Grindelwald und zurück variiert jedes Jahr – einzig der Aufstieg von Grindelwald über die Grosse Scheidegg am zweiten Tag gilt als gesetzt!
Mika unterwegs auf die Bussalp.
Dieses Jahr wählten wir die wunderschöne Strecke über den Beatenberg nach Interlaken. Leider gingen meine Beine irgendwo in einer der schönen Kurven um Feldvorsprünge oder spätestens im engen Felstunnel verloren. Der Aufstieg nach Grindelwald ist auch ohne machbar, aber von da aus ging es weiter auf die Bussalp. Die schmale Strasse, welche vor allem im Winter als Schlittelweg grosse Beliebtheit geniesst, schlängelt sich in steilen Kurven den Berg über Grindelwald hoch.
Zu meinem grossen Glück erhaschte mein starrer Blick eine Schiefertafel ausgangs Grindelwald. Da stand mit weisser Kreide geschrieben „Bergrestaurant offen!“.
Von da an gab es wieder Hoffnung und die hatte einen Namen: Apfelstrudel!
Als ich mir zum wiederholten mal mit der Aussicht auf einen Apfelstrudel laut Mut zu redete, versuchte Mika besorgt meine Erwartungen in Schach zu halten. Er erklärte mir, dass er zwar vor Jahren im Winter mal auf der Bussalp war, um runter zu schlitteln, könne sich aber beim besten Willen nicht an einen Apfelstrudel erinnern.
Ich hörte zwar Mikas Stimme, während ich mich mit meiner klassischen Übersetzung die Alp hochkämpfte, von dem Apfelstrudel war ich aber nicht mehr abzuhalten. Mika brachte auch Alternativen ins Spiel; Nussgipfel, Linsertorten und viele andere Gebäcke.
Mögen die Profis für das gepunktete Trikot, das maillot jaune, Prestige oder Preisgeld Berge hoch eilen, mögen die Ehrgeizigen KOM’s und PR’s anstreben, ich für mich fuhr an diesem Nachmittag einzig und alleine für den Apfelstrudel!
Und ich kann Euch beruhigen, es hat sich gelohnt, die Aussicht von der Bussalp ist umwerfend, Eiger, Mönch, Jungfrau und andere schöne Berge – aber vor allem APFELSTRUDEL!
Kurz vor dem Apfelstrudel.
Am nächsten Morgen lag über Grindelwald Nebel, wie es für Herbsttage nicht selten ist. Wir assen unser Müsli, strichen unsere Brote, teilten die Mika-Bars auf, dann drehten wir eine Runde um den Golfplatz, um uns etwas an zu klimatisieren.
Der Aufstieg auf die Grosse Scheidegg ist autofrei. Einzig das Postauto kommt einem auf dem engen Strässschen entgegen. Je weiter wir hoch stiessen, desto stärker verzog sich der Nebel.
Das Bergpanorama der Grossen Scheidegg.
Langsam zeigten sich die gigantischen Felswände des Wetterhorns und der Eigernordwand. Jedes Mal droht einem der Anblick den Atem zu rauben, als wäre der Aufstieg nicht schon genug für die Lungenflügel.
Oben genossen wir den Blick ins Tal und über die Bergketten. Danach sausten wir in Richtung Scherlock Holmes und Meiringen. Wo es die Geschwindigkeit erlaubte, warfen wir immer wieder Blicke zurück in Richtung Gipfel.
So wie der Grindelwald-Giro seinen festen Platz in unserem Rad-Kalender gefunden hat, werden wir bestimmt jedes Jahr von neuem dieses unglaubliche Bergpanorama bestaunen. Möge der Apfelstrudel mit uns sein!
© all Content by Jan Mühlethaler | roja-Goodz 2015
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