d Ein letztes Mal ruft er den Wetterbericht auf, checkt die Radarsimulation. Es sieht nicht besonders gut aus, Wolken ziehen auf, höchstwahrscheinlich wird es Regen geben, bevor die Nacht in wenigen Stunden die Stadt einhüllen wird.
Noch einmal wird der Posteingang aktualisiert; keine neue Post, aber 29 ungelesene e.mails. Nichts was nicht warten könnte. Er schaltet den Computer aus.
Unentschlossen ob Gillet oder Regenjacke greift er dann dann doch zum Gillet. Ein paar Skizzen auf Papier flattern zu Boden.
Klick Klick ertönt das Geräusch seiner Schuhe wie er in Richtung Kaffeemaschine geht. Auch diese wird ausgeschaltet, der Druckanzeiger senkt sich langsam zu Null.
Während Leitungswasser in den Bidon plätschert, wirft er einen raschen Blick auf die Akkuanzeige des Handys.
Das Rad – ganz in schwarz, wie er selbst – wartet angelehnt am Kickertisch. Das letzte Spiel wurde beim Stand von 3:4 unerwartet unterbrochen, der Ball wartet noch immer auf den nächsten Anstoss.
In regelmässigen Bewegungen steigt die Nadel der Standpumpe Richtung 9 bar, als das Telefon klingelt.
Klick Klick zurück zum Schreibtisch.
Hallo? Ja? Ok! Hören Sie, ich muss gleich dringend los. Ich rufe sie morgen an, dann können wir alles in Ruhe… Schönen Abend!
Zurück beim Rad wird der Reifendruck mit dem Fingernagel geprüft und los geht’s!
Nach nur wenigen Pedalumdrehungen beginnt die Transformation.
Natürlich sieht er beim vorbei fahren, wie der Wind Laub und Plastiktüten vor sich durch die Gassen weht, Passanten die sich den Kragen hoch krempeln und schneller gehen als sonst. Doch er lässt sie hinter sich, biegt zwei drei mal ab und überquert die Autobahn. Unter ihm steckt der Berufsverkehr im Stocken. Es geht kaum voran, ein, zwei Meter, dann wieder bremsen. Einige hupen, viele fluchen. Doch er ist längst weg, erreicht die Stadtgrenze wie die ersten Regentropfen fallen.
Natürlich gibt es geeignetere Tage um Rad zu fahren; wettertechnisch, zeittechnisch vielleicht auch von der temporären Fitness her. Aber dies ist ihm egal. Es geht ihm nicht um logisch erklärbare Dinge. Vergessen dass sich die Beine morgens noch träge anfühlten, das Mittagessen schwer im Magen lag oder die Prognose des Wetterradars. Längst hat er auf Auto-Pilot geschaltet. Was könnten Geschwindigkeit, Kalorienverbrauch, Watt-Angaben oder Trittfrequenzen ihn jetzt noch interessieren?
Mit einem schlag verändert sich die Beschaffenheit der Strasse. Der Lenker vibriert und holpert gnadenlos – Pflastersteine! Stein für Stein. Der einzige Gedanke jetzt: Tempo halten! Obwohl es den Hügel hoch geht! Es ist die einzige Möglichkeit die Kopfsteine zu meistern. Sein Rad, welches extra vom Italienischen Meister Ernesto Colnago für genau diese Art Gelände erschaffen wurde, hüpft von Stein zu Stein, gibt die Vibration weiter an Fussballen, Handgelenke, Gesäss. Tempo halten und um alles in der Welt im Sattel bleiben! Wie Roger de Vlaeminck bei der Ronde van Vlaandern oder Paris-Roubaix. Oder Johan Museeuw auf dem gleichen Rad bei seiner triumphalen Siegesfahrt.
Spätestens jetzt ist die Transformation abgeschlossen. In dem Moment gibt es keine 29 ungelesene Mails mehr, keine Termine und Deadlines, keine Aufträge und Verpflichtungen. Nur noch ihn, sein Rad und die Strasse. Er ist in die Rad-Aura eingetaucht, in welcher es keine Zeit oder Hierarchie gibt, und deren Türöffner Schweiss und Leidenschaft sind.
Die Schläge der Strasse nimmt er nur noch gedämpft war, er bannt sich seinen Weg durch schwarz-weiss Fotografien von leidenden Helden am Berg. Der frenetische Jubel der Tifosis hallt über die kargen Stoppelfelder. Ein vergilbtes Video-Bild taucht vor ihm auf. Der Lärm des Helikopters wird immer wie ohrenbetäubender, er zieht direkt vor ihm über die Hügelkante, bläst alle anderen Bilder weg. Hautnah, live aus diversen Kamerawinkeln. Noch ein paar Meter, jetzt wird die Strasse flacher. Oh, und wie dieses Pavé-Stück unsere Spitzengruppe auseinander gerissen hat. Wer kann dem Antritt folgen? Drei, vier Fahrer vielleicht, die anderen müssen die Ausreisser ziehen lassen. Gleich biegen sie auf den ungeteerten Abschnitt ab. Welch Glück hat der Regen doch nicht eingesetzt.
Er selbst bemerkt erst jetzt, wie er sich über die ungeteerte Strasse die engen Kurven den Wald hoch treibt, dass der Regen ausgeblieben ist. Ein paar Tropfen, mehr nicht. Bei starkem Regen wäre an ein Befahren der Naturstrasse nicht zu denken.
So aber klettert er weiter. Alle Sinne aufs Wesentliche konzentriert. Die rollenden Bewegungen, die Atmung, sein Puls alles steht in einem Rhythmus zu einander, alles ist im Einklang.
Seine Tour wird bald zu Ende sein, die Nacht und der Alltag über ihn einbrechen. Doch so sicher wie die ungelesenen Mails auf ihn warten werden, so sicher wird er bald auch wieder den Wetterradar prüfen, Radkleider auslegen und sein Colnago C40 pumpen.
Doch zuerst wird vielleicht das ausstehende Partie Tischfussball zu Ende gespielt!
©Text & Photos: Jan Mühlethaler | roja-Goodz 2016
Auto-Pilot: Mika
e Once again he checks the daily weather forecast online, observes the clouds on the weather-radar. It’s not looking very good. It will probably rain soon.
For the last time he double-checks his mail-account; no new mail but 29 unread ones. Nothing that could not wait for now. He shuts down his computer.
Unsure if gilet or rain-jacket he chooses his gilet. Some sketches on paper are falling from his desk to the floor.
His shoes make click click on the way to the espresso-machine. While he shuts the machine down the steam-pressure and the needle sink to zero.
He then simultaneously fills cold water in his bidon and checks the battery of his mobile.
His bike – all black – leans against the tabletop football. The last game must have suddenly end – the score says 3:4 and the ball still waits for the action to rise again. Slowly the needle of the pump climbs to the 9 bar mark when the telephone starts to ring. Click click back to the desk. Hello? Yes? Ok! Listen, I really gotta go now! I’ll call you tomorrow and we can then… Have a nice evening!
Back at his bike he checks the pressure of the wheels with his finger-nail and and finally is ready!

After just a few pedal turns the transformation begins.
Certainly he can see how the wind blows brown leaves trough the streets and how the pedestrians lift their collars and walk faster then usually. But he passes by on his bike, takes a few left and right turns and leaves the city behind him by crossing the highway. As usual at that time commuter traffic accumulates and builds a horrible traffic jam. A few honk, most swear!
While he reaches the city limit he can feel the first rains drops.
Certainly there are better days for riding a bike; weather wise, time wise and maybe even fitness wise. But he doesn’t care about logical things like that. Forgotten the heavy legs of the morning hours, forgotten the stodgy lunch or the dark clouds on the weather-radar. Long ago he switched on his auto-pilot! How could informations about speed, calories, watts or cadence be of any interest to him now?!
Suddenly the surface of the road changes radical. The handlebar vibrates and shakes mercilessly. Cobblestones! Stone by Stone. The only thought now: keep the speed! Although the road runs uphill. It’s the only possibility to cope with the cobbles.
His bike, designed by the italian mastermind Ernesto Colnago especially for this kind of harsh terrain, hops from stone to stone. The vibrations reach his fingers, feet and go all over his body. Keep the speed! And stay in the saddle! Like Roger de Vlaeminck at the Ronde van Vlaandern or Paris-Roubaix. Or like Johan Museeuw on the same bike at his triumph over the cobbles of Roubaix.
At the latest now the transformation is completed. Right now there are no 29 unread mails, no appointments or deadlines, no duty or obligations. Now it’s just him, his bike and the open road! He has now totally entered the aura of cycling, where hierarchy or perishability do not exist and sweat and passion are key to enter.
He now feels the shocks from the road muted. They don’t feel real anymore, they mix with old black/white images of heroes and TV-images of present day racings. He can even hear the voice of the sports reporter commenting his fight up the cobbles hill.
He enters the forrest and the surface of the road changes. The cobbles have gone, all there is left is gravel. Right now he realizes that the forecast was wrong about the rain. Otherwise passing that road would be almost impossible. Fortunately he can go on. All his senses are focused on the essential. The circular motion, breathing and his pulse build one big rhythm.
His tour will soon end, night and daily-routine will come over him. But as sure as those unread mails await him, as sure he will check the forecast again, browse through his cycling kits and pump his Colnago C40.
But probably first of all he will finish that tabletop football game to an end!
©Text & Photos: Jan Mühlethaler | roja-Goodz 2016
Auto-Pilot: Mika
Schöne Prosa bei einem heißen Kaffee im Büro, mit der Hoffnung auf den Frühling.
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Danke & der Frühling wird kommen! 🙂
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